Tenside


Nach einem Vorschlag von E. Götte (1964) von lat. tensio=Spannung abgeleitete Bezeichnung für Substanzen, die die Grenzflächenspannung herabsetzen. Tenside verfügen über einen charakteristischen Aufbau und weisen mindestens eine hydrophile und eine hydrophobe funktionelle Gruppe auf.

Tensid

Abb. 1 charakteristischer Aufbau eines Tensids



Bei den hydrophilen Anteilen des Moleküls handelt es sich meist um polare funktionelle Gruppen, während die hydrophoben Teile in der Regel unpolare Kohlenwasserstoff-Reste darstellen. Löst man eine derartig aufgebaute Substanz in Wasser, so wird sie sich, sofern der hydrophile Teil überwiegt, lösen; überwiegt hingegen der hydrophobe Rest wird man ein Aufrahmen beobachten. Erst wenn beide Teile des Moleküls im Gleichgewicht zueinander stehen, wird sich die Substanz an der Grenzfläche anreichern und ausrichten, d.h. hydrophile Gruppen weisen in die wässrige Phase, hydrophobe Gruppen in Richtung der anderen festen, flüssigen oder gasf. Phase. Dieses Verhalten ist typisch für Tenside und unterscheidet sie von anderen Stoffen.
Löst man z.B. das Salz der Essigsäure in Wasser, liegen unabhängig von der Konzentration diskrete Molekül bzw. Molekül-Ionen vor, während sich die Natriumstearat-Moleküle zunächst an der Oberfläche der Lsg. anreichern, bis diese vollständig bedeckt ist. Bei einer weiter zunehmenden Konz. bilden sich höhere Aggregate, sog. Micellen, bei denen sich die Tensid-Mol. dergestalt anordnen, daß die polaren Gruppen eine Kugelschale bilden. Die Fähigkeit zur Micellisierung unterscheidet Tenside ebenfalls von allen übrigen org. Stoffen und ist die Voraussetzung für das Vermögen von Tenside, Unlösliches löslich zu machen.

Histor.: Die Sumerer (um 2500 v.Chr.) gaben in ihren Keilschriften als erste davon Kenntnis, daß sie aus Holzasche und Öl eine seifenähnliche Substanz herstellten. Bei den Aufzeichnungen handelt es sich um Angaben zum Waschen und Walken von Wollstoffen. Nach Plinius war auch den Ägyptern, Galliern u. Germanen die Herstellung von verseiften Fetten und Ölen bekannt. Solche Produkte dienten jedoch weniger zum Waschen, sondern zu kosmetischen Zwecken oder als Heilmittel. Erst der in Rom praktizierende griechische Arzt Claudius Galenos (131–201 n.Chr.) machte auf die Reinigungswirkung der Seife aufmerksam, obgleich Ausgrabungen in Pompeij zeigen, daß dort schon 79 v. Chr. Seife hergestellt wurde. Überlieferungen aus dem Mittelalter zur Seife und ihrem Gebrauch sind spärlich.
Man weiß, daß Karl der Große im fränkischen Reich das Handwerk der Seifensieder förderte. Araber, Spanier, Italiener und Franzosen brachten später, dank der Rohstoffquelle Ölbaum, die Seifensiederei zur Blüte. Die Entwicklung einer Seifensiederzunft in Deutschland ist jedoch erst für die Zeit ab dem 14. Jh. belegt. Im 17. und 18. Jh. stieg der Bedarf an Pottasche und Pflanzenasche für die Glas- und Seifen-Herst. so stark an, daß ein ernster Raubbau an Bäumen u. Pflanzen einsetzte. In ihrem Bemühen, eine weitere Zerstörung der Natur zu verhindern, setzte 1775 die französische Akademie der Wissenschaften einen Preis für die synthetische Herstellung von Soda aus, welcher Leblanc zugesprochen wurde. Seit der Leblanc-Seifenfabrikation 1791 konnte Seife besser und preiswerter hergestellt werden und avancierte vom Luxus- zum Gebrauchsgegenstand. 1823 berichtete Chevreul über die „wahre Natur des Verseifungsprozesses“ und legte damit die wissenschaftliche Basis für die Tensidchemie.

Mit dem Beginn des 20. Jh. und der Einführung der „selbsttätigen“ Waschmittel wurde die Seife in Mehrkomponentensystemen zum Reinigen von Textilien mitverwendet, wobei sie mit Buildern (Soda, Wasserglas, Perborat) kombiniert wurde. Im Jahre 1907 wurde von HENKEL das Markenprodukt „Persil®“ eingeführt: „Per“ wie Perborat, „Sil“ wie Silicat. Diese Waschmittel ersparten der Hausfrau die langwierige, wetterabhängige Rasenbleiche und brachten durch ein höheres Waschvermögen auch Erleichterungen bei der Handwäsche. Etwa zur gleichen Zeit führte der Fortschritt der technischen Entwicklung zum Übergang von der Handwäsche zur Maschinenwäsche, womit eine Änderung der Zusammensetzung von Waschmitteln und eine Abstimmung auf die neue Technologie erforderlich wurde. Dabei zeigte sich, daß Seife den gravierenden Nachteil der Härteempfindlichkeit besitzt, also mit den Härtbildnern des Wassers unlösliche Calcium- od. Magnesium-Salze bildet, die zu einer Verringerung der Waschkraft und zu Inkrustierungen im Gewebe führen. Damit begann die Suche nach anderen Waschrohstoffen, die den geänderten Anforderungen Rechnung trugen.

Als Vorläufer der modernen synthetischen Tenside kann das Türkischrotöl angesehen werden, das bei der Herstellung der beliebten Inlettfarbe Türkischrot als Egalisiermittel angewendet wurde. Türkischrotöle stellten zunächst Emulsionen ranziger Öle aus den Rückständen der Olivenöl-Gewinnung dar, die auch als Tournantöle bezeichnet und mit Soda, Wasser u. Schafsmist emulgiert wurden. 1834 wurde von Runge erstmals ein sulfoniertes Öl durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Olivenöl hergestellt, das von der Elsässer Druckerei Wesserling für Alizarin-gefärbte Beizendruckartikel eingesetzt wurde. Das Verfahren gelangte vom Elsaß aus nach Schottland, wo anstelle von Olivenöl das – damals – billigere Rizinusöl eingesetzt wurde. Dies war die Geburtsstunde des Sulfo-ricinolats, das bis in die heutige Zeit Anw. als Netzmittel in der Baumwollfärberei findet.

Im Jahre 1917 gelang dem deutschen Chemiker Fritz Günter bei der BASF die erste Alkylierung und Sulfonierung des Naphthalins. Das dabei erhaltene Alkylnaphthalinsulfonat zeigte zwar ein starkes Netzvermögen und einen beständigen Schaum, war jedoch nicht waschaktiv. Erst später erkannte man, daß dies auf die Wahl eines zu kurzen Alkyl-Restes zurückzuführen war.
Die eigentliche Entwicklung moderner Tenside hat in den zwanziger Jahren des letztens Jahrhunderts ihren Anfang genommen. Auf der Suche nach besseren Textil- und Färbereihilfsmitteln sulfonierte Bertsch bei der Böhme-Chemie in Chemnitz Ricinolsäure sowie deren Ester und entwickelte dabei ein Ricinolsäurebutylestersulfonat, das zwar gute netzende Eigenschaften, jedoch ebenfalls nur ein geringes Waschvermögen besaß. Bei der Untersuchung der Sulfierung von Fettalkoholen stieß Bertsch schließlich auf die herausragenden Tensid-Eigenschaften des Natriumdodecylsulfats. An eine industrielle Verwertung war indes noch nicht zu denken, da Fettalkohole bis zu diesem Zeitpunkt durch Reduktion von Fettsäuren mit Natrium nach dem Verfahren von Bouveault und Blanc hergestellt werden mußten. Im Jahre 1928 jedoch – also beinahe zur gleichen Zeit – war von Schrauth bei der Deutsche Hydrierwerke AG, der DEHYDAG, in Rodleben (Sachsen-Anhalt) die katalytische Hochdruckhydrierung von Fettsäureestern zu Fettalkoholen entwickelt worden. Neben der Hydrierung von Spermöl zu Stearylalkohol (1-Octadecanol) u. Oleylalkohol (9-Octadecen-1-ol) wurden bald auch Lauryl (1-Dodecanol) und Myristylalkohol (1-Tetradecanol) hergestellt, so daß der Weg zur industriellen Herstellung von Fettalkoholsulfaten (FAS) beschritten werden konnte. FAS wurden erstmals 1932 in Deutschland von HENKEL (Fewa®) bzw. in den USA von Procter & Gamble (Dreft®) eingesetzt.
Von Schöller und Wittwer wurden zu Beginn der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts bei der IG Farben erstmals Anlagerungsprodukte von Ethylenoxid an Fettalkohole und somit die ersten nichtionischen Tenside erhalten. Bei den Leuna-Werken in Halle-Merseburg wurden Anfang der 40er Jahre von Asinger sek. Alkansulfonate (SAS) durch photochemische Sulfochlorierung und Fischer-Tropsch-Synthese erstmals großtechnisch hergestellt.

Die Entwicklung der Alkylbenzolsulfonate (ABS) geht auf die Feststellung des britischen Chemikers Adam zurück, daß man aus Hexadecyl- und Octadecylbenzolen nach Sulfonierung und Neutralisation wasserlösliche Produkte gewinnen kann, die seifenähnlichen Charakter haben. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde daraufhin das Tetrapropylenbenzolsulfonat (TPS) entwickelt, das 1959 bereits 65% des gesamten Bedarfs der westlichen Welt an synthetischen Tensiden deckte. Der heiße Sommer 1959 zeigte dann jedoch auch die Grenzen des TPS in den Ländern auf, deren Bedarf an synthetischen Waschmitteln während der letzten Jahre sprunghaft gestiegen war: auf den Flüssen, an Wehren und Schleusen türmten sich gewaltige Schaumberge. Man erkannte rasch, daß dies eine Folge des verzweigten Aufbaus des TPS war, der eine unzureichende biologische Abbaubarkeit bedingte. Die nächste Generation der Alkylbenzolsulfonate zeichnete sich durch eine lineare Alkyl-Kette aus und erfüllte hinsichtlich ihrer ökologischen rträglichkeit die bald erlassenen gesetzlichen Bestimmungen, nach denen der Anion-akt. Anteil in Wasch- u. Reinigungsmitteln unter festgesetzten Prüfbedingungen in der Kläranlage zu mindestens 80% abbaubar sein muß.

Einteilung: T. werden im allg. nach Art u. Ladung des hydrophilen Molekül-Anteils klassifiziert. Hierbei können vier Gruppen unterschieden werden: Aniontenside, Kationtenside, nichtionische Tenside (Niotenside) und Amphotenside. Anionische Tenside weisen als funktionelle Gruppen in der Regel Carboxylat-, Sulfat- oder Sulfonat-Gruppen auf, während Kationtenside beinahe ausschließlich durch das Vorhandensein einer quartären Ammonium-Gruppe gekennzeichnet sind. Typisch für Niotenside sind Polyether-Ketten, während ampholytere Tenside sowohl anionische als auch kationionsiche Gruppen enthalten und sich demnach je nach pH-Wert wie Anion- oder Kationtenside verhalten.

Verbrauch: Im Verlauf der letzten 10 Jahre ist der Welttensid-Verbrauch um etwa 20% gestiegen und betrug 1988 etwa 5 Mio. t. Für die Zukunft kann mit einem weiteren Wachstum gerechnet werden, da die großen Märkte in Indien und China gerade erst erschlossen werden und flüssige, Hochtensid-haltige Waschmittelformulierungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Etwa 2/3 des Verbrauches entfallen auf anion., 1/3 auf nichtionische Tenside, während der Marktanteil kationionischer und ampholytischer Tenside vergleichweise gering ist.

Für die Zukunft wird den kationionischen Tensiden eine stagnierende od. sogar rückläufige Entwicklung vorhergesagt, da sie verschärften Anforderungen an die biologische Abbaubarkeit nicht ausreichend gerecht werden und zudem ein gewisses Sensibilisierungspotential aufweisen. Den ampholytischen Tensiden wird infolge ihrer hohen Herstellkosten auch in absehbarer Zeit nur die Rolle von Spezialtensiden zukommen. Obschon die Aniontenside, und hierunter v.a. die Seife und die Alkylbenzolsulfonate, nach wie vor eine Spitzenstellung im Welt-Tensidverbrauch einnehmen, hat ihre Bedeutung in den letzten 10 Jahren zu Gunsten der nichtionischer Tenside deutlich abgenommen. Ursache hierfür ist die geringere Härteempfindlichkeit sowie die vielfach bessere Löslichkeit nichtionischer Tenside, wie z.B. der Fettalkoholpolyglykolether und der damit verbundene Vorteil im Waschverhalten bei niedrigen Temperaturen. Die wachsende Bedeutung nichtionischer Tenside gibt somit das veränderte Waschverhalten der Verbraucher wieder, die ähnlich wie in den USA verstärkt zu Waschtemp. von 30° tendieren.

Unter den drei großen Wirtschaftsregionen nimmt die USA mit einem Anteil von 45% am Welt-Tensidmarkt die Spitzenstellung unter den Verbraucherländern ein, gefolgt von Westeuropa u. Japan. 1989 betrug der Tensid-Verbrauch in der BRD ca. 228000 t. Hierbei kamen den Aniontensiden 51%, den Niotensiden 37% u. den Kationtensiden 10% zu. Die größten Einzeltonagen entfielen auf das Alkylbenzolsulfonat mit 61000 t und die Gruppe der Fettalkoholethoxylate mit 54000 t.

Produktion: 1990 betrug die Weltproduktion an Tensiden ca. 4 Mio. t. Hiervon entfielen auf die USA und Westeuropa jeweils etwa 44%, auf Japan 12%.
Neben der Seife dominiert das Alkylbenzolsulfonat mit einer Jahresproduktion von ca. 1 Mio. t. über allen anderen synthetischen Tensiden. Die beiden anderen wichtigen anionischen Tenside, die Fettalkoholsulfate und -ethersulfate, entsprechen zusammen nur etwa der Hälfte der Produktion an ABS, was dessen Bedeutung für die Tensidchemie unterstreicht. Auf dem zweiten Platz finden sich die Fettalkohol- und die Alkylphenolpolyglykolether, deren Jahresproduktion zusammen etwa 850000 t beträgt. Aufgrund der ungünstigen biologischen Abbaubarkeit wird auf den Einsatz von APE in Europa zunehmend verzichtet; in der BRD werden diese Stoffe auf der Grundlage einer freiwilligen Selbstbeschränkung der Industrie praktisch nicht mehr eingesetzt. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß die APE zu Gunsten der FAE zunehmend an Bedeutung verlieren werden.

Welt

Abb. 2 Welt-Tensidproduktion (1990)



Die sechs aufgeführten T. decken gemeinsam etwa 90 bis 95% des Tensid-Marktes ab. Von weiterer Bedeutung sind die Ligninsulfonate, besonders preiswerte Tenside, die durch Sulfitation von Rückständen der Papierherstellung gewonnen und insbesondere in der tertären Erdölförderung eingesetzt werden. Weitere typische Aniontenside, wie etwa die Alkansulfonate oder die a-Olefinsulfonate, besitzen bislang nur eine regionale Bedeutung und wurden in der Aufstellung nicht berücksichtigt.

Verw.: Das Einsatzgebiet von T. ist überaus vielfältig (Abb. 4). Den größten Anteil mit fast einem Drittel besitzt der Textilmarkt, d.h. Anw. die sich auf das Waschen u. Reinigen von Textilien beziehen. Zweitgrößtes Einsatzgebiet mit 12% sind die kosmet. Produkte. Hier finden milde T. Einsatz in Schaumbädern u. Haarshampoos u. in Form von Emulgatoren in Cremes u. Lotionen. Ein gleichgroßes Marktsegment entfällt auf die Flotation, d.h. das Ausbringen u. Abtrennen von Erzen u. Mineralien von taubem Gestein.

Einsatz

Abb. 3 Einsatz von Tensiden



Weniger bekannt ist, daß Tenside auch auf dem Nahrungsmittelsektor z.B. in Form der Zuckerester-Emulgatoren unverzichtbare Hilfsmittel darstellen. Ein gleichgroßes Marktsegment von 8% nehmen die Tenside im Bereich der Lacke und Farben ein, wo sie ebenfalls als Emulgatoren und Verdickungsmittel eine große Rolle spielen. Dagegen ist die Bedeutung der Tenside auf den Sektoren Metallbehandlung, Lederhilfsmittel, Bauchemie und Pflanzenschutz eher untergeordnet.

Lit.: Chem. Times Trends 7, 38 (1986)
Chem. Unserer Zeit 25, 214 (1991)
Cosm. Toil. 104, 57 (1989)
Fat Sci. Technol. 92, 49, 287 (1990)
J. Falbe (Hrsg.), „Surfactants in consumer products“, Berlin: Springer 1986 ï Manuf. Chem. 60, 33 (1989)
Oleagineux 39, 435 (1984)
Parfum. Kosmet. 70, 4 (1989)
Seifen Öle Fette Wachse 116, 251 (1990); 117, 3 (1991)
Soap Cosmet. Chem. Spec. 1988, Nr. 9, 28, 33.
Tenside Surf. Deterg. 24, 70 (1978).

E surface active agents, surfactants
F agents tensio-actifs, agents de surface, surfactifs
I tensioattivi
S agentes tensioactivos (de superficie)






Quelle: CD Römpp Chemie Lexikon – Version 1.0, Stuttgart/New York: Georg Thieme Verlag 1995